Mit einem langen und kräftigen Tuuuut läuft das rot-weiße Postschiff “Polarlys” der Hurtigruten in seinen letzten Hafen in Kirkenes ein. Ein paar Reisebusse stehen bereits bereit, um den Gästen Landausflüge anzubieten. Ein eisiger Wind pfeift über das Nordpolarmeer. Wir stehen mit unserem Bulli direkt am Hafen und Beobachten das rege Treiben bei unserem Frühstückskaffee.
Hier im äußersten Nordosten Norwegens starten wir unseren Road-Trip entlang des Varanger-Fjordes. Wir wollen Kirkenes im Süden bis Vadsø im Norden. Neben dem Fähranleger der Hurtigruten-Schiffe macht Kirkenes einen eher kleinstädtischen Eindruck: eine kleine Fußgängerzone mit einer Handvoll von Geschäften, einem kleinen Souvenirladen und ein paar Supermärkte. Die naheliegende russische Grenze zeigt sich auch immer wieder im Stadtbild von Kirkenes – viele der Wegweiser und Schilder sind zweisprachig auf Norwegisch und Russisch gekennzeichnet. Die Bindung zum russischen Nachbarn ist stark; etwa 10 Prozent der Bevölkerung sind entweder in Russland geboren oder haben mindestens ein russisches Elternteil. Der Trubel an der Grenzstation hat allerdings stark nachgelassen. Noch vor wenigen Jahren war es hier einfach: kurz rüber und russische Luft schnuppern. Ob mit einem kurzfristigen Touristen-Visum oder dem kleinen Grenzverkehr für die Bewohner der Grenzregion. Doch der Austausch mit Russland wird in der aktuellen geopolitischen Situation – Norwegen ist schließlich Mitglied der NATO – immer schwieriger.
Die schmucklose Innenstadt lassen wir nach einem kleinen Spaziergang schnell hinter uns und starten über die Europastraße 6 in Richtung Westen. Zunächst begleitet uns noch der niedrige Baumbewuchs der Taiga: am Varangerfjord, bei Kirkenes endet die sibirische Taiga – dem weltweit größten zusammenhängenden Waldgebiet. Nach und nach werden die kleinen Taiga-Bäumchen weniger und wir finden uns alsbald in den weiten der arktischen Tundra wieder. Die Straße schlängelt sich durch eine karge Landschaft, immer die Küste des Varangerfjordes im Blick. Felsige, verwitterte Felsen, kaum Vegetation. Nur wenige windgepeitschte Sträucher klammern sich noch an den Hängen fest.
Über eine hügelige Straße schaukeln wir unseren T4-Bulli in das kleine Städtchen Bugøynes. In dem beschaulichen Dorf leben rund 200 Menschen, hauptsächlich in kleinen, bunten Holzhäusern, die hier seit vielen Jahren dem arktischen Wetter trotzen. Bugøynes ist eines der wenigen Dörfer Nordnorwegens, die im zweiten Weltkrieg vom Befehl der “verbrannten Erde” verschont geblieben wurden. So sind viele der Gebäude hier noch aus der Gründungszeit im 19. Jahrhundert. Wir parken unseren Bulli am Hafen, direkt neben den Trawlern für den Fang der berühmten Königskrabbe und schlendern durch das Dorf. Ursprünglich haben sich hier finnische Auswanderer niedergelassen und so ist der finnische Einfluss hier bis heute noch spürbar und wir kommen mit unseren rudimentären Finnisch-Kenntnissen erstaunlich gut zurecht.
Direkt gegenüber des Hafens nehmen wir Platz im Bistroen, ein Restaurant und die Touristen-Information des Ortes. Später setzt sich Trond, der Besitzer des Restaurants, noch zu uns und erzählt, was Bugøynes so besonders macht. Noch vor einigen Jahren stand das kleine Dörfchen vor dem aus. Vom Fischfang alleine konnte man hier nicht mehr leben, immer mehr Bewohner zogen weg, die kleine Fischfabrik machte dicht. Doch dann wendete sich das Blatt. Etwa 1960 setzten russische Wissenschaftler die erste Königskrabbe in der Barentssee nahe Murmansk aus. Die riesigen Krabben haben kaum Feinde und so verbreiteten sie sich in der Barentssee wahnsinnig schnell. Die Einwohner erkannten das Potenzial der beliebten Delikatesse und setzen alles auf die Krabben-Karte. In der ehemaligen Fischfabrik ist heute die Heimat von King Crab Norway. Von hier werden die scherenbewehrten Krustentiere an Gourmet-Restaurants in der ganzen Welt exportiert.
Besonders frisch kommen sie aber natürlich bei Trond auf dem Tisch und so ist unser Abendessen gesichert. Und nach kurzem Plausch mit Trond mussten wir auch nicht weit: wir durften unseren Bus direkt an seinem Gästehaus abstellen und standen so mittendrin in Bugøynes für unsere Übernachtung.
Am nächsten Tag nahmen wir Abschied von Trond, seinem tollen Bistro und dem liebgewonnenen Ort Bugøynes. Und schuckeln entlang des Varangerfjordes. Nachdem wir den Fjord in Varangerbotn umrundet haben, nun in östlicher Richtung. Die Straße läuft schnurgerade durch die karge Landschaft. Hier mal ein kleiner Busch, dort die weiten, verschneiten Flächen der Varanger-Halbinsel, am Horizont ein stattliches Bergmassiv.
Immer wieder kreuzen Rentiere unseren Weg. Immer wieder tun sich Ausblicke auf Berge auf, die Straße sieht aus wie mit dem Lineal gemalt. Über stunden sind wir das einzige Auto und wollen kaum glauben, dass wir unterwegs sind zur nördlichsten Stadt Norwegens: Vardø.
Am Nachmittag parken wir unseren Bus an der Touristen-Information direkt am Port. Von hier haben wir einen herrlichen Blick auf den Hafen und das kleine Städtchen.
Zu Fuß erkunden wir die “Hexenstadt”. Der etwas skurrile Beiname hat einen ernsten Hintergrund: im 17 Jahrhundert kam es in Nord-Norwegen zu einer wahren Hexen-Jagd. Besonders ausgeprägt war die Hexenhysterie in Varta, wo innerhalb von nur zwei Jahren rund 101 Menschen der Hexerei bezichtigt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden. An der stürmischen Küstenlinie zeigt das Hexenmahnmal die Geschichte der Verurteilten.
In der Nacht zieht ein starker Wind auf, die Postschiffe stellen ihren Dienst kurzfristig ein und unser kleiner Bus schaukelt in den Böen. Als wir am Morgen im warmen Bulli aufwachen sind wir tief eingeschneit. Es ist eben noch Winter in Norwegen und seiner nördlichsten Stadt.