Sanfte Nebelschwaden ziehen im fahlen Morgenlicht über den Canal du Midi. Unser Blick schweift über eine lang gestreckte Kurve des Kanals, die sich friedlich dahinfließend an den Stadtrand der französischen Kleinstadt Trèbes schmiegt.
Trèbes ist eine kleines, verschlafenes Dörfchen mitten in Okzidanien – einer Region ganz im Süden der französischen Republik. Wir schlendern durch die engen, verwinkelten Gässchen des eigentlich unspektakulären Örtchens. Viele der kleinen, eng aneinander gebauten Natursteinhäuser sind bereits einige hundert Jahre alt. Die überschaubare Siedlung auf dem Hügel Plô war noch zu Römerzeiten ein wichtiger Handelsstützpunkt auf der Verbindung zwischen Narbonne und Toulouse.
Bevor wir an diesem milden, sonnigen Herbstmorgen unsere Reise entlang des Canal du Midi starten, decken wir uns ein mit Vorräten für den Tag. In der Dorfbäckerei Cabrera holen wir uns duftend frisches Baguette, die Oliven und ein paar kleines Snacks bekommen wir direkt beim Olivenbauern Domaine des Pères und einen leckeren, kräftigen Rotwein direkt in der Weinbauern-Kooperative des Ortes. Letzerer stammt direkt aus dem hiesigen Weinbaugebiet – das Minervois. Es ist bekannt für seine kräftigen, mediterranen Weine und gehört zu den ältesten Weinregionen Frankreichs.
Ausgestattet mit den Leckereien der Region starten wir am Vormittag mit den Fahrrädern entlang des Canal du Midi in Richtung Westen. Insgesamt ist der 240 Kilometer lang und Teil einer historischen Wasserstraße zwischen Atlantik und Mittelmeer. Besonders bekannt ist der Kanal für seine unzähligen Schleusen – insgesamt werden mit Rund 63 Schleusen etwa 200 Höhenmeter überwunden – und seine dichte Uferbepflanzung an Platanen.
Unsere Fahrradroute führt stets entlang der historischen Wasserstraße. Direkt links neben uns ziehen unzählige Platanen vorbei, rechts unseres Fahrradlenkers plätschert in stetiger Begleitung das Wasser des Kanals. Hin- und wieder schippern gemütlich Freizeitboote auf dem Kanal entlang. Die Sonne glitzert im trüb-braunen Wasser, die Blattwerk der knorrigen Ufer-Bäume werfen verspielte Schatten auf den Radweg.
Auf unserem Weg queren zwei Flüsse – der Orbiel gleich nach unserem Start in Trèbes und kurz vor Carcassone der Fresquel. Beide werden auf massiven Brücken unter dem Canal du Midi durchgeführt. Der sonst so flache Weg wird sonst nur durch kleine Steigungen an den Schleusen unterbrochen. Die Schleuse von Villedubert liegt eingebettet inmitten üppiger Natur, umgeben von dicht gewachsenen Plantanen und lädt förmlich zu einer kleinen Rast ein. Im angenehm warmen Licht der Herbstsonne sitzen wir im Gras der Schleusenanlage, blicken entspannt auf die langgezogenen Biegungen des Kanals und beobachten das geschäftige Treiben der Schiffe, die die Schleusenanlage passieren.
Auf unserer Strecke müssen wir insgesamt sechs der kleinen Staustufen wir überwinden, bis wir am späten Vormittag die massiven Mittelalter-Türme der Stadt Carcassonne erreichen.
Dass die Cité Carcassonne zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten Frankreichs zählt, merken wir bereits auf dem Weg zu den massiven Stadttoren. Die zahlreichen Parkplätze, die sich rund um die mittelalterliche Stadt angesiedelt haben, sind voll mit unzähligen Reisebussen und Tagesgästen. Der Anblick der massigen Stadtmauern ist durchaus beeindruckend. Die Cité Carcassonne gilt als die größte Festungsanlage Europas und wird mit vielen Superlativen bedacht: „Welterbe der Menschheit“ titelte 1997 die UNESCO bei der Aufnahme von Carcassonne in ihre entsprechende Liste, „märchenhaftes Mittelalter“ beschreibt der Reiseführer Baedeker und das GEO Reisemagazin lädt ein zu einer „Zeitreise in die größte Festungsstadt Europas“.
Zwei jeweils rund zwei Kilometer lange, zinnengekrönte Mauerringe umschließen die Stadt; 52 Türme sorgten in früheren Zeiten für Sicherheit. Unser Spaziergang durch die Altstadtgässchen gleicht einer Zeitreise. Wir schlendern durch malerische, kopfsteingepflasterte Gassen mit kleinen Boutiquen, genießen einen hervorragenden Café au Lait am Platz Marcou und bewundern die Aussicht von der Stadtmauer. Überall entdecken wir Zinnen, Mauertürme, alte Wehrgänge, Scharten, Giebel- und Spitzdächer. Wir lassen das malerisch-pittoreske Stadtbild – welches übrigens auch Walt Disney zu seinem Cinderella-Schloß inspirierte – noch eine ganze Weile auf uns wirken. Am Nachmittag lassen wir den touristischen Trobel hinter uns – die Reise führt uns auf den Fahrrädern zurück nach Trèbes.