Juha, den Taxifahrer und seinen himmelblauen Ford treffen wir erstmals in Ilomantsi, einem kleinen Ort im Osten Finnlands. Der „Busbahnhof“ hier in Ilomantsi spricht von weitaus besseren Zeiten: die große geteerte Fläche hinter dem einzigen Supermarkt hat Platz für Dutzende Busse. Heute hält nur noch der Bus aus Joensuu an dem heruntergekommenen, verbeulten Blechhäuschen am Rande des Platzes. Ilomantsi ist, wie viele abgelegene Gemeinden, von der Landflucht geprägt. In nur 7 Jahren – zwischen 2010 und 2017 – sind rund zehn Prozent der Finnen vom Land in die großen Städte gezogen. Zurück bleiben Menschen wie Juha, die an ihre Region glauben. Zurück bleibt auch Orte, Plätze und Infrastruktur, die Zeitzeugen von früher – wie der Busbahnhof von Ilomantsi. „Früher gab es von hier viele weitere Verbindungen“ erzählt uns Juha „doch heute ist das anders. Nach und nach wurden alle Verbindungen eingestellt und wir haben nur noch den Bus aus Joensuu hier.“ Immerhin sechs mal pro Tag verkehrt der Bus zwischen Ilomantsi und Joensuu.
Wer wirklich von hier nun weiterkommen möchte, ist auf solche wie Juha angewiesen. Und dennoch: viel zu tun hat er kaum. Das gelbe Schild auf dem Dach mit der Aufschrift „Taksi“ braucht er nur selten. Die meisten seiner Fahrten sind regelmäßig und zu einem vereinbarten Tarif. Das Taxameter benutzt er so gut wie nie.
„Morgens und Mittags fahre ich mit meinem Taxi die Schulkinder. Morgens zuerst eine große Runde, dann eine Kleinere um die Kinder in die Schule zu bringen. Mittags dann umgekehrt um sie wieder nach Hause zu bringen.
Dann kommen noch die vielen anderen Fahrten dazu: mehrmals die Woche fahre ich nach Ilomantsi – irgendwer braucht immer was; dort ist ja zum Beispiel der einzige Arzt der Gegend. Oder wie gestern: hier in der Nähe war ein Festival und ich habe die ganze Nacht junge Leute gefahren. Das ist schon sehr anstrengend, die ganze Nacht wach zu bleiben, aber es bringt auch etwas Geld.“
Mit Juha fahren wir in seine Heimatgemeinde Naarva, ein kleines Nest, etwa 12km westlich der russischen Grenze. Kurz nach Ilomantsi verengt sich die Straße, der Teerbelag weicht einer geschotterten Piste und uns kommen kaum noch Fahrzeuge entgegen.
Naarva liegt für uns scheinbar am Ende der Welt. Die Straße schlängelt sich bergauf-, bergab. Die Schlaglöcher werden immer mehr und das Auto schlingert über die vom Schmelzwasser aufgeweichte Schlammpiste. „Finnen mögen solche Straßen nicht“ erklärt Juha. „Nur selten kommen Finnen in diese Gegend, um hier ihren Urlaub zu verbringen. Dabei ist die Gegend wunderschön. Wir haben hier sehr viele Bären, die man beobachten kann. Selbst das Fernsehen kommt immer wieder in diese Gegend, um Bärenaufnahmen zu machen!“
Vor Juhas Haus tut sich eine wunderschöne Landschaft auf. Direkt auf einer Anhöhe gelegen, bietet sich ein Ausblick auf das komplette Umland: dort drüben liegt ein kleiner See, das Wasser schillert in allen Farben. Hier eine versteckte Lichtung und Bäume, so weit das Auge reicht. Hier und da pfeift ein Vogel, der sanfte Wind streicht über die Unendlichkeit des Waldes. Vor uns liegt die Weite Kareliens, jener historischen Landstrich ganz im Osten der finnischen Republik. Eingeklemmt zwischen Russland und Finnland. Die Landschaft, die hier vor uns liegt, scheint sich auch in Juhas Gesicht eingegraben zu haben – vom Wetter gegerbte Haut, starke Hände, die anpacken können und eine innere Ruhe so sanft wie die Landschaft, die vor uns liegt.
Ein Stück weit entfernt liegt das Ferienhaus das Juhas Vater Onni gehört. Von der Veranda genießen wir den Sonnenuntergang über dem grandiosen Ausblick und plaudern weiter mit Juha, während sich Onni rührend um die holzbeheizte Sauna kümmert – „… ist natürlich im Preis enthalten“, sagt Juha.
„Die Landschaft und unsere Lage ist herrlich“ schwärmt Juha „nur können wir diesen Platz nicht aufessen. Naarva hat längst bessere Zeiten erlebt. Vor einigen Jahren gab es hier eine Post, einen Supermarkt, ja sogar eine Busverbindung. Und heute? Heute sind meine Eltern und ich noch eine der wenigen Bewohner Naarvas. Immer mehr Leute ziehen in die Stadt – vor allem weg nach Helsinki. Und diejenigen die hier bleiben werden immer älter. Junge Leute kommen kaum noch hierher.“