In der Nacht hat der Wind nachgelassen und der Morgen beginnt erneut mit herrlichem Sonnenschein. Aus meiner Schlafkoje habe ich einen tollen Ausblick über den Álftavatn-See. Eingebettet von zwei langgestreckten Bergen glitzert der See ruhig und entspannt in der Sonne.
Für uns startet heute die Etappe in die Berge: der Aufstieg nach Hrafntinnusker liegt vor uns. Nach etwa drei Kilometern entlang eines kleinen Baches in einem sanften grünen Hobbit-Tal liegt der erste Aufstieg vor und. Auf gerade zwei Kilometern sind rund 800 Höhenmeter zu überwinden. Auf dem sandigen Hügel ist das Vorankommen schwierig. Doch der Blick zurück entschädigt für die Mühen. Unser Blick schweift über die Landschaft, die wir gestern noch durchwandert haben. So langweilig die Schotterebene gestern noch erschien, so interessant gestaltet sich der Blick von oben. Aus dem unendlich reichenden schwarz-braun des Schottersanders, wachsen die knallgrünen Hügel der Berge und malen allerlei Fabelwesen in die Landschaft: dort scheint ein stacheliger Echsenrücken aus dem grau zu erwachsen, daneben – ein der flauschige Wuschelkopf eines Trolls und ganz hinten liegt der lange Schwanz eines Drachens. Der Blick über die Landschaft lädt förmlich dazu ein, in die Fabel- und Sagenwelt Islands einzutauchen.
Nach dem steilen Aufstieg wandelt sich plötzlich die Landschaft. Eine Landschaft die nicht von dieser Welt zu sein scheint. Berge, Hügel und Täler schimmern in vielen tollen Pastellfarben: Grün-, Braun-, Rot- und gelb-töne mischen sich mit kaltem Blau und Weiß der Schneefelder. Das Rhyolithgebirge ist eine einzige Farbenpracht und extremer Kontrast zu dem schwarz-weiß unserer vorigen Etappen. Unsere Route führt uns heute in eine Welt aus Feuer und Eis: heiße Quellen, Solfataren und Fumarolen dampfen, qualmen und blubbern stinkend an den Flanken der Hügel das eiskalte Weiß des Gletschers glitzert in der Sonne um die Wette. Selbst jetzt im frühen Herbst finden wir in den schattigen Tälern noch Schneefelder des vorherigen Winters, direkt neben in Dampf gehüllten heißen Quellen.
Den Nachmittag verbringen wir am unmittelbaren Rand des Gletschers. Heiß und kalt liegen hier unmittelbar nebeneinander: auf der einen Seite brodeln und blubbern heiße Quellen und Fumarolen, gleich daneben tonnenweise Eis und Schnee des Gletschers. An vielen Stellen schmilzt das heiße Wasser der Quellen Höhlen in das Eis. Eine bizarre Eiswelt entsteht und formt eine skurrile Landschaft – fast wie auf einem anderen Planeten. Die Eishöhlen des Torfajökull sind für ihre außergewöhnlichen Kontraste weit bekannt. Wir sitzen alleine in der stillen, unwirklichen Landschaft. Allein umgeben von ursprünglicher, überwältigender Natur.
Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir dann den höchsten Punkt unserer Tour: die Berghütte Höskuldsskáli direkt neben dem Berg Hrafntinnusker. Eine abgelegene und einfache Wanderunterkunft., die – beheizt mit dem Wasser der nahegelegenen heißen Quelle – eine tolle Wärme für uns bereit hält.