Am nächsten Tag verstauen wir nicht nur die spektakulären Erinnerungen der vergangenen Wandertage, sondern auch unsere Wanderschuhe im Gepäck. Denn heute wollen wir noch weiter hinein. Hinein in das Herz Islands, einmal quer durch das isländische Hochland.
Per Linienbus soll es heute auf der Sprengisandur einmal quer durch die Mitte des Hochlands von Island gehen. Die Route F26 ist mit etwa 200km die längste Hochlandpiste Islands und führt vom Süden – ein guter Start ist Landmannalaugar – in den Norden bis zum Wasserfall Aldeyarfoss. Vor allem weil es eine nahezu geradlinige Verbindung zwischen dem Norden und dem Süden bietet, wurde die Sprengisandur schon in den frühesten Zeiten der Besiedlung genutzt. Gleichzeitig war die Route wegen seiner unwirtlichen Landschaft sehr gefürchtet: auf einer Länge von rund 70km existierte praktisch keine Weidemöglichkeit für Pferde, spontane Wetterumschwünge waren an der Tagesordnung und mehrere reißende Flüsse mussten durchquert werden. Der Name Sprengisandur ist dadurch entstanden, dass Pferde möglichst schnell darüber „sprengen“ sollten, um die gefährliche Strecke bald hinter sich zu haben und wieder Gras und Wasser zu finden. So entwickelte sich bald ein wahrlicher Mythos um diese Route: Trolle, böse Geister und Geächtete sollen hier ihr Unwesen treiben. In einem isländischen Volkslied heißt es zum Beispiel „Wenn du mal durch Sprengisandur reitest, sieh’ nur zu, dass du es schnell durchquerst. Dort gibt es ganz viele böse Geister, die nur warten, dass es nächtens wird.“ So wundert es kaum, dass die Route nach und nach in Vergessenheit geriet. Ab dem 18. Jahrhundert bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Weg kaum noch genutzt.
Heute tummeln sich wieder deutlich mehr Reisende auf der Sprengisandur. Die vor allem bei Touristen beliebte Route hat inzwischen seinen Schrecken verloren, zeigt aber dennoch auf sehr beeindruckende Weise einen Blick in die Unwirtlichkeit des Hochlandes.
Am Vormittag startet unser Bus direkt vor der Wanderhütte Landmannalaugar auf die Reise durch das isländische Hochland. Das Gepäck sollen wir lieber bei uns lassen, empfiehlt der Busfahrer. Manche Furt führe so viel Wasser, dass die Gepäckräume des Hochlandbusses möglicherweise nicht trocken bleiben. Und so starten wir – kaum haben wir die Farbenpracht Landmannalaugars hinter uns gelassen, beginnt bereits die graue Sandwüste des Hochlands. Der kurze Stopp am Þórisvatn – ein See im südlichen Teil des Hochlandes – ist unser letzter Kontakt mit der Zivilisation: eine Tankstelle mit Café und einem einfachen Gasthaus. Danach startet eine schier unendliche Moränenlandschaft. Nachdem das Eis am Ende der letzten Eiszeit abgeschmolzen war, blieben Tausende Quadratkilometer einer von Flussschottern und Sand bedeckten Landschaft zurück. Die ungeheuere Weite der Moränenlandschaft, Panoramen unendlichen Graus hinterlassen für uns unvergesslichen Eindruck. Wir spüren hier die Weite, Einsamkeit und Ehrfurcht vor der Natur. Das isländische Hochland ist hier so karg, farblos und mondähnlich, dass in den 1960er-Jahren hier Neil Armstrong und Buzz Aldrin für ihre erste Mondlandung geübt haben.
Immer wieder pflügt sich der Bus durch reißende Gletscherflüsse, die die sonst eintönig graue Landschaft zerschneiden. Hin- und wieder erhaschen wir einen Blick auf die beiden Gletscher Hofsjökull und Vatnajökull am Horizont, deren blau-weißes Kleid eine farbliche Abwechslung bietet. Nach unendlichen Kilometern Wüste, Weite, Wind und stundenlanger Schaukelei über ruppige, wettergegerbte Hochlandpisten erreichen wir den Norden. An den Hängen der Basaltsäulen am Wasserfall Aldeyarfoss krallen sich einige grüne Moostupfer fest. Was für eine Augenweide, was für ein Farbspektakel – endlich wieder Farbe in der Landschaft zu entdecken.