Der Tag startet in der Morgendämmerung. Noch vor Sonnenaufgang verlassen wir bereits unsere Bleibe in Sóller und machen uns auf den Weg – die heutige Etappe gilt als eine der schönsten, aber auch herausforderndsten Strecken entlang des Weitwanderweges Ruta de Pedra en Sec.
Als wir Biniaraix erreichen, werden die Bergspitzen des Tramuntana-Massivs zwar schon von der goldenen Morgensonne angestrahlt, der Dorfbrunnen, an dem wir unsere Wasserflaschen füllen, liegt aber noch im kühlen Schatten. Biniaraix erfahren wir als kleines, landestypisches Bergdorf, dem es sehr gut gelungen ist, sich städtischen Erschließung zu verweigern. So finden wir hier heute ein beschauliches Kleinod aus Naturstein-Häusern, engen Gässchen und herrlichem mediterranem Flair.
Wir widmen uns an diesem Morgen zunächst allerdings dem Barranc de Biniaraix. Über unzählige Treppen, gestützt von gewaltigen Trockensteinmauern, zieht sich der Weg nach oben. Zunächst vorbei an alten Olivenbäumen und kunstvoll angelegten landwirtschaftlich genutzten Terrassen. Hinter uns taucht dabei immer wieder der tolle Ausblick auf das goldene Tal von Sóller auf. Über zahllose Stufen und Kehren führt uns der Weg durch einen pittoresken Canyon immer weiter nach oben. Die Wände des Canyons scheinen immer näher zu kommen, während sich der Weg unermüdlich nach oben schraubt. Die bizarren Tropfsteinformationen links und rechts in der immer-feuchten Wand scheinen zum Greifen nah. Moosig feuchter Geruch steigt in die Nase, hier und da plätschert ein kleiner Wasserfall die Felswand hinab. Die kühl-feuchte Luft erfrischt auf dem Weg nach oben und die kleinen Quellen am Wegesrand sind eine willkommene Erfrischung.
Nach der engen Schlucht lassen wir die letzten Serpentinen hinter uns und wir erhaschen einen letzten Blick nach Sóller. Vor uns liegt nun die schroffe und wenig bewohne Bergwelt der Serra Tramuntana. Stets im Blick der Puig Major – mit 1445 Metern der höchste Berg der Insel und durch seine große, weiße Radarkuppel des spanischen Militärs immer gut erkennbar. Zu Füßen des Puig Major liegt unser nächstes Zwischenziel – der Stausee Cuber. Türkisfarben glitzert das Wasser des Sees, der sich heimelig zwischen die Berge kuschelt. Unweit des Ufers treffen wir auf einige Wildziegen, die uns überrascht vorbeiziehen lassen. Der Kontrast zum warmen Sand des Mittelmeeres könnte hier kaum größer sein. Hochalpine Felsformationen und geduckte Eichenwäldchen lassen kaum erahnen, dass wir auf den Balearen unterwegs sind.
Am Ende des Sees wird es noch mal abenteuerlich: unser Weg folgt einem dicken, grauen Betonrohr durch die schroffe Berglandschaft. Fünf rustikal in den Berg gehaune, freilich unbeleuchtete Tunnel liegen auf unserem Weg. Die kleinen Stirnlampen werfen einen spärlichen Lichtkegel vor unsere Füße hier und da fallen Tropfen von der Decke, der Weg ist uneben. Es richt muffig, ist feucht und hat so gar nichts mit dem spanischen Strandleben zu tun.
Den Tag beschließen wir in der abgelegenen Berghütte Tossals Verds. Bei Wein, guten Gesprächen mit anderen Wanderen, einem knisternden Feuer im Kamin und ehrlicher Berghütten-Romantik war die heutige Tour tatsächlich weniger „spanisch“.